TIM RAUE
- ARTISTIC HUB MAGAZINE
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Aktualisiert: vor 12 Stunden
Die Kunst des Geschmacks im Rhythmus Berlins
Ein Blick in die Welt von Tim Raue ist eine Begegnung mit einer einzigartigen Philosophie des Geschmacks, die bereits mit dem ersten Bissen die Grenzen konventioneller Küche überwindet. Seine Kreationen, geprägt von einem tief persönlichen Gefühl der Freiheit und Inspiration, vereinen die Essenz Berlins mit exotischen Aromen Asiens – in einer Harmonie, die weit über die Grenzen des Gewöhnlichen hinausgeht. Raue beschreibt, wie er sich von den traditionellen Mustern der europäischen Küche abwandte und in den fernöstlichen kulinarischen Bewegungen eine Quelle fand, aus der seine eigene Geschichte entspringt.

Ihre kulinarische Philosophie definiert nicht nur die deutsche Küche neu, sondern vereint auch Einflüsse aus der ganzen Welt, insbesondere aus Asien. Können Sie sich an den Moment erinnern, in dem Ihnen klar wurde, dass Sie diese kulinarischen Traditionen verbinden möchten?
Ich wollte sie nicht verbinden! Ich habe in der deutschen Kochausbildung vermittelt bekommen, dass die Hochküche aus Frankreich stammt und dass das höchste Gut die Harmonie der Aromen ist. Diese Lehren haben mich allerdings nie berührt, nie bewegt. Als ich dann 2003 bei Sam Leong in Singapur im Restaurant JADE gegessen habe, war ich zum ersten Mal in meinem Leben von einer Küche begeistert, „geflasht“ – ich habe meine Heimat geschmeckt!
Sam Leong verband die jahrhundertealten Techniken der chinesischen Küche mit Aromen und Produkten aus Thailand, Vietnam und Japan. Er musste diese Küche zwei Jahre später beenden, weil seine Gäste, die auf chinesische Traditionen pochten, diese Küche nicht mehr essen wollten. Ich bin sein legitimer Nachfolger, der diese Küche bis heute kocht. Seit 2023 habe ich allerdings auch meiner Heimat Berlin und Brandenburg im Restaurant Tim Raue ein Menü gewidmet. Die Zutaten sind lokal, genauso wie die teilweise traditionellen Gerichte, die wir allerdings mit meiner typischen Aromenwelt aus "süß-sauer-scharf-herbal" servieren.
In Ihrem Restaurant verwenden Sie häufig Begriffe wie „Freiheit“ und „Kreativität“, um Ihre Menüs zu beschreiben. Inwiefern beeinflusst die Freiheit, die Sie als Koch haben, Ihre künstlerische Vision der Gerichte, die Sie kreieren?
Freiheit ist für mich sicher eines der höchsten Güter, unabhängig zu sein halte ich für elementar. Die Basis meiner Arbeit ist die Freiheit, etwas schaffen, kreieren zu können, das erstmal nur mir gefallen und schmecken muss. Meine Arbeit widme ich allerdings ausschließlich meinen Gästen und erledige sie zusammen mit meinen Geschäftspartnerinnen und Partnern sowie meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
„Die einzige Konstante im Erfolg ist die permanente Veränderung – ständige Weiterentwicklung, um dauerhaft zu den Besten zu gehören.“
Das Restaurant Tim Raue ist für das Menü „Kolibri X Berlin“ bekannt, das Ihre Liebe zu Ihrer Heimatstadt widerspiegelt. Glauben Sie, dass die Küche als künstlerisches Medium die Seele und Energie einer Stadt vermitteln kann? Wie inspiriert Sie Berlin bei der Kreation Ihrer Gerichte?
Was ich glaube, spielt keine Rolle; was ich fühle, drücke ich in meinen Gerichten aus. Berlin-Kreuzberg steht für mich für die Freiheit des Einzelnen. Das lebe ich auf jedem Teller, in jedem Gericht.
Sie sprechen oft über emotionale Momente in der Kulinarik. Welche Emotionen möchten Sie durch Ihre Gerichte an Ihre Gäste weitergeben? Und wie gelingt es Ihnen, diesen emotionalen Ausdruck in Ihren Gerichten zu finden?
Die Gerichte sollen voller Freude, Leichtigkeit und Aromen Wucht sein, so vergänglich wie eine Wolke am Himmel, so bezaubernd wie ein Zitronenfalter, der Sie Sekunden umschwirrt, um dann zu verschwinden. Sie sollen Momente hinterlassen, die man nicht vergisst.
Viele betrachten Sie als wahren Künstler auf dem Teller, insbesondere in Bezug auf die Präsentation Ihrer Speisen. Wie schaffen Sie es, das Gleichgewicht zwischen visueller Ästhetik und Geschmack zu halten? Gibt es Momente, in denen die Ästhetik den Geschmack bestimmt oder umgekehrt?
Aesthetics are absolutely secondary in cooking. No guest will return just because the food looked beautiful but didn’t taste memorable.
„Freiheit zählt definitiv zu meinen höchsten Werten – Unabhängigkeit ist für mich unverzichtbar. Die Grundlage meiner Arbeit ist genau diese Freiheit: etwas zu kreieren, das in erster Linie mir gefallen und mir schmecken muss.“
In Ihrem Restaurant legen Sie großen Wert auf Teamarbeit und langjährige Partnerschaften. Wie beeinflusst die Zusammenarbeit im Team den kreativen Prozess der Speisenentwicklung? Würden Sie sagen, dass sich die kreative Energie in Ihrer Küche auf alle Teammitglieder überträgt?
Es ist in jedem Bereich ein Miteinander, jeder trägt einen Teil zum Ganzen bei, damit das Gesamtkonzept "Restaurant Tim Raue" funktioniert. Marie-Anne Wild und ich haben das Restaurant vor über 14 Jahren gegründet, und die drei Säulen, auf denen es fußt, sind:
1 Die Atmosphäre: Die wird durch die Einrichtung bestimmt. Wir wollten niemals die Schwellenangst eines klassischen Sternerestaurants vermitteln.
2 Der Service: Nichts ist wichtiger, als dass der Gast sich wohlfühlt und von herzlichen Menschen durch den Lunch oder das Dinner begleitet wird. Unsere Mitarbeitenden dürfen das mit ihrer Persönlichkeit, wir lassen ihnen den Raum, die Gäste so zu behandeln, als wenn sie Gäste zu Hause hätten. Das sorgt dafür, dass sehr viele Gäste immer wieder zu uns kommen.
3 Das Essen: Es muss natürlich einzigartig sein, es kann gerne aromatisch provokant sein, nur niemals belanglos!
Ihre Autobiografie trägt den Titel „Ich weiß, was Hunger ist“. Wie haben Ihre persönlichen Erfahrungen aus der Kindheit und die Herausforderungen, die Sie gemeistert haben, Ihre künstlerische Vision und Ihren Zugang zum Kochen geprägt?
Glücklicherweise gar nicht! Meine Kindheit in Armut hat mich bis heute angetrieben, mein Wunsch nach sozialem Aufstieg pusht mich jeden Tag, extrem leistungsorientiert zu sein und immer einen Schritt mehr zu gehen.

Das Restaurant Tim Raue gehört seit Jahren zu den Top 50 und seit dem Jahr 2024 zu den Top 30 Restaurants der Welt. Wie schaffen Sie es, auf einem so hohen Niveau kreativ und innovativ zu bleiben und dabei Ihre Authentizität und Nähe zu Ihren Wurzeln zu bewahren?
Das Einzige, was kontinuierlich ist im Erfolg, ist der stetige Wandel, die stetige Weiterentwicklung, um konstant zu den Besten zu zählen. Ich genieße den Moment, ich sehe, was wir bis dato geleistet haben, ich bin aber auch pragmatisch genug, um zu wissen, dass irgendwann die Zeit vorbei sein wird. Das sollte man früh genug erkennen und würdevoll abtreten; der Leistungssport ist da ein sehr gutes Vorbild für mich.
Tim Raue bringt auf jeden Teller die Essenz seiner Leidenschaft und Freiheit, wie ein Künstler, der Zutaten nutzt, um Gefühle, Emotionen und Erlebnisse zu vermitteln. Sein Restaurant ist ein Ort, an dem jedes Teammitglied ein Stück seiner Individualität einbringt und eine Atmosphäre des Respekts und der Authentizität gegenüber den Gästen herrscht. Seine Küche ist nicht nur eine kulinarische Symphonie, sondern eine Botschaft der Authentizität, die Form und Ästhetik übersteigt und sich auf einen reinen, unvergesslichen Geschmack konzentriert – ein Geschmack, der daran erinnert, das Leben, die Inspiration und die Schönheit der vergänglichen Momente zu feiern.
All images in this article are courtesy of Nils Hasenau